Nisargadatta Maharaj |
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Ich nenne die Fähigkeit, andere Hüllen des Bewusstseins zu betreten, Liebe. Die Liebe sagt, Ich bin alles. Die Weisheit sagt, Ich bin nichts. Zwischen diesen beiden fließt mein Leben. 2 Ihr Interesse an anderen ist egoistisch, es dient Ihrem eigenen und ist selbstorientiert. Sie sind nicht an der Person anderer interessiert, sondern nur daran, inwieweit Sie dadurch bereichert werden oder Ihr eigenes Image aufpolieren können. Der Gipfel der Selbstsucht ist, sich nur um den Schutz, den Erhalt und die Vermehrung des eigenen Körpers zu kümmern. Mit Körper meine ich alles, was in Bezug zu Ihrem Namen und Ihrer Form steht – Ihre Familie, Sippe, Land, Rasse usw. Seinem eigenen Namen und seiner Form verhaftet zu sein ist reiner Egoismus. Jemand, der weiß, dass er weder der Körper noch der Verstand ist, kann nicht egoistisch sein, denn er besitzt nichts, wofür er egoistisch handeln könnte.
Die Liebe ist nicht wählerisch, die Begierden und Wünsche sind wählerisch. In der Liebe gibt es keine Fremden. Wenn sich das Zentrum des Egoismus aufgelöst hat, dann löst sich auch der Wunsch nach Freuden und die Angst vor Schmerzen auf. Man ist nicht mehr daran interessiert, glücklich zu sein. 3
Auf immer und ewig können Sie woanders nach Wahrheit, Liebe, Intelligenz und Wohlwollen suchen, Gott und die Menschen anflehen –
alles umsonst.
Was für eine Welt kann jemand erschaffen, der dumm, gierig und herzlos ist? Es ist weder nötig noch möglich, andere zu
ändern. 4 frage: Was ist Liebe? maharaj: Wenn das Gefühl von Trennung und Unterscheidung nicht vorhanden ist, dann können Sie es Liebe nennen.
frage: In der Liebe muss es
Dualität geben, den Liebenden und das Geliebte.
maharaj: In der Liebe gibt es
noch nicht einmal den Einen, wie kann es da zwei geben?
frage: Ist es die Liebe, die die Brücke zwischen dem Geist und dem Körper schlägt?
maharaj: Was sonst? Der Verstand schafft den Abgrund, das Herz überwindet ihn.
frage: Was bringt mich dazu zu
lieben?
maharaj: Sie sind die Liebe selbst – wenn Sie keine Angst haben.
frage: Warum gibt es in der Liebe so viel Leiden?
maharaj: Alles Leiden wird aus
Verlangen geboren.
frage: Gibt es im gesamten Universum eine einzige Sache von Wert?
maharaj: Ja, die Macht der Liebe. 5 maharaj: Zu sein bedeutet, zu leiden. Je enger der Kreis Ihrer Selbstidentifikation, desto akuter das Leid, das von Angst und Begierden ausgelöst wird.
frage: Das Christentum akzeptiert das Leid als etwas Reinigendes und Erhebendes, während die Hindus einen Widerwillen dagegen haben.
maharaj: Das Christentum ist eine Art, Worte aneinanderzureihen, und der Hinduismus eine andere. Das Reale ist hinter und jenseits der Worte, nicht zu vermitteln, nur direkt zu erfahren, explosiv in seiner Wirkung auf den Geist. Es ist leicht zu erreichen, vorausgesetzt man will nichts anderes. Das Unreale wird von Vorstellungen erschaffen und von Begierden am Leben erhalten.
frage: Sie scheinen nicht viel für Religion übrig zu haben.
maharaj: Was ist Religion? Eine
Wolke am Himmel. Ich lebe im Himmel, nicht in den Wolken, die nichts als ein Haufen Worte sind. Entfernen Sie die Worte, und was bleibt übrig?
frage: Ohne Worte kann es keine Religionen geben.
maharaj: Die niedergeschriebenen
Religionen sind nichts weiter als ein Haufen Worte. Religionen zeigen ihr wahres Gesicht in Handlungen, in stiller Aktion.
frage: Man braucht Worte, um kommunizieren zu können.
maharaj: Um Informationen auszutauschen – ja. Doch wahre Kommunikation zwischen Menschen findet nicht auf der verbalen Ebene statt. Um Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, bedarf es eines liebevollen Gewahrseins, das sich in direkten Handlungen ausdrückt. Nur was Sie tun zählt, nicht was Sie sagen. Der Verstand erschafft die Worte, aber sie haben nur auf der Ebene des Verstandes eine Bedeutung. Sie können das Wort „Brot“ weder essen noch davon leben. Es vermittelt lediglich eine Vorstellung und erhält erst dadurch, dass man das Brot tatsächlich isst, eine Bedeutung.
Worte sind von sehr beschränktem Wert, aber wir überstrapazieren sie und bringen uns an den Rand einer
Katastrophe. Unsere edlen Vorstellungen werden von unseren unedlen Handlungen aufgehoben. Wir reden über Gott, Wahrheit und Liebe, doch anstatt sie direkt zu erfahren, geben wir
uns mit Definitionen zufrieden.
frage: Wie kann man Erfahrungen vermitteln außer durch Worte?
maharaj: Erfahrungen können nicht durch Worte vermittelt werden, sie entstehen durch das Handeln. Man erreicht einen gewissen Grad der Reife, wenn nichts Äußerliches mehr einen Wert hat und das Herz bereit ist, alles aufzugeben. Dann hat das Reale eine Chance, und es ergreift sie auch. So viele Worte haben Sie gelernt und so viele gesprochen. Sie wissen alles Mögliche, doch sich selbst kennen Sie nicht, denn das Selbst kann nicht durch Worte erkannt werden – nur direkte Einsicht wird es offenbaren. Schauen Sie nach innen, suchen Sie im Inneren.
frage: Es ist äußerst schwierig, ohne Worte zu existieren. Unser mentales Leben ist ein ununterbrochener Strom von Worten.
maharaj: Es ist keine Frage von schwer oder leicht. Sie haben einfach keine Alternative, entweder Sie versuchen es oder nicht. Das liegt an Ihnen.
frage: So oft habe ich es schon probiert und es nie geschafft.
maharaj: Versuchen Sie es weiter. Wenn Sie einfach weiter versuchen, geschieht vielleicht etwas. Aber wenn Sie es erst gar nicht probieren, stecken Sie fest. Sie mögen alle richtigen Worte kennen, die heiligen Schriften zitieren, brillant in Ihren Diskussionen sein und doch nur ein Sack voll Knochen bleiben. Oder Sie mögen unauffällig und bescheiden sein, eine ganz und gar unbedeutende Person und doch leuchtend in Güte und tiefer Einsicht.
1, 3, 4 Nisargadatta Maharaj, Ich bin, Band 1, Kamphausen
Verlag, Bielefeld 1989 |